Dr. Kurt Reuber, Madonna von Stalingrad – Dezember 1942

Dr. med. lic.* theol. Kurt Reuber (* 26. Mai 1906 in Kassel; † 20. Januar 1944 im russischen Kriegsgefangenenlager Jelabuga – einer Kleinstadt der Teilrepublik Tatarstan, westlich des Uralgebirges) war evangelischer Pfarrer und Arzt, der durch seine Kohlezeichnungen „Madonna von Stalingrad“ und „Gefangenenmadonna“ weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt wurde.
*lic.: licentiatus ist der Inhaber einer akademischen „Licentia docendi“ (Erlaubnis zu lehren).
 
Pfarrer und Truppenarzt
 
Kindheit, Jugend, Studium der Theologie, Pfarrerzeit und Medizinstudium
 
Kurt Reuber wuchs in Kassel auf und studierte nach dem Abitur (1926, Gymnasium Wesertor – heute Goethe-Schule) in Bethel, Tübingen und Marburg Theologie. Nach Abschluss des Studiums (1930) übernahm er in Loshausen (Schwalm-Eder-Kreis) und später in Marburg eine Vikariatsstelle.
 
1933 promovierte Kurt Reuber in Marburg zum Doktor der Theologie und übernahm noch im gleichen Jahr die Pfarrstelle von Wichmannshausen / Werra-Meißner-Kreis. Parallel zur Pfarrerstätigkeit absolvierte Kurt Reuber an der Uni Göttingen noch ein Medizinstudium und promovierte 1938 zum Dr. med..
 
Kriegszeit 1939 bis 1944 und Tod

1939 erhielt Dr. Reuber den Einberufungsbefehl zum Heeresdienst der Wehrmacht. Zunächst wurde er im Balkankrieg, ab 1941 im Russlandfeldzug und ab November 1942 als Truppenarzt in Stalingrad (16. Panzerdivision) eingesetzt. Nach der Schlacht von Stalingrad kapitulierten die deutschen Truppen im Januar 1943. 150.000 deutsche Soldaten waren gefallen, 90.000 Soldaten gerieten in russische Gefangenschaft – unter ihnen auch Oberarzt Kurt Reuber.
 
In der Kriegsgefangenschaft erkrankte Reuber am Fleckentyphus. Er verstarb am 20. Januar 1944 im Alter von 37 Jahren im Kriegsgefangenenlager Jelabuga (Kleinstadt in der russischen Teilrepublik Tatarstan, westlich des Uralgebirges).
 
Kurt Reuber als Maler
 
Madonna von Stalingrad (Dezember 1942)

Dr. Kurt Reuber war nicht nur Arzt und Theologe, sondern auch ein begabter Maler. In der Vorweihnachtszeit 1942 – die Rote Armee hatte Stalingrad bereits vollständig eingeschlossen – zeichnete er mit Kohle auf der Rückseite einer ca. 90 mal 130 Zentimeter großen Russlandkarte der deutschen Wehrmacht ein Madonnenbild: eine Mutter, die in ihrem weiten Mantel ihr Kind beschützt. Das Bild sollte den Soldaten bei einer provisorischen Weihnachtsfeier an Heiligabend, für den die beiden kriegführenden Seiten einen Waffenstillstand vereinbart hatten, Trost spenden. Die Lehmhöhle, in der Reuber das Bild gezeichnet hatte und zeigte, wurde für die Soldaten in den darauffolgenden Tagen zu einer Art Wallfahrtsort.

Dass das Madonnenbild der Nachwelt erhalten blieb, ist der schweren Erkrankung eines Bataillons-Kommandeurs der 16. Panzerdivision zu verdanken. Er wurde in der ersten Januarwoche 1943 – mit einer der immer seltener eintreffenden Logistikmaschinen – aus dem Stalingrader Kessel ausgeflogen und brachte die Kohlezeichnung sowie einen letzten Brief Reubers an seine Familie nach Deutschland. Das Bild ist später unter dem Namen „Madonna von Stalingrad“ weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt geworden. In zahlreichen Kirchen Europas befinden sich Kopien des Madonnenbildes, so auch in der Kirche zu Wichmannshausen / Werra-Meißner-Kreis und der Auferstehungskirche Kassel (Stadtteil Nord-Holland). Das Original hat Kurt Reubers Sohn Erdwin im Beisein von Familienmitgliedern und zahlreicher Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben am 26. August 1983 im Rahmen einer Feierstunde an das Kuratorium der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Berlin zum dauernden Verbleib übergeben. Die „Madonna von Stalingrad“ befindet sich seitdem als ein Zeichen der Versöhnung neben der „Märtyrer-Gedenktafel 1933 bis 1945“ in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Breitscheitplatz in Berlin.

Zur Entstehung des Bildes schrieb Reuber in seinen Aufzeichnungen aus Stalingrad:

„Dann habe ich für den Generals-, die sechs Mannschafts- und die beiden Offiziersbunker gemalt – ich habe lange bedacht, was ich malen sollte – und dabei herausgekommen ist eine „Madonna“ oder Mutter mit Kind. Ach, könnte ich sie so gestalten, wie die Intuition es möchte! Meine Lehmhöhle verwandelte sich in ein Atelier. Dieser einzige Raum, kein nötiger Abstand vom Bild möglich! Dazu musste ich auf mein Bretterlager oder auf den Schemel steigen und von oben auf das Bild schauen. Dauerndes Anstoßen, Hinfallen, Verschwinden der Stifte in den Lehmspalten. Für die große Madonnen-Zeichnung keine rechte Unterlage. Nur ein schräggestellter, selbstgezimmerter Tisch, um den man sich herum quetschen musste, mangelhaftes Material, als Papier eine russische Landkarte… Das Bild ist so: Kind und Mutterkopf zueinander geneigt, von einem großen Tuch umschlossen. „Geborgenheit“ und „Umschließung“ von Mutter und Kind. Mir kamen die johanneischen Worte: Licht, Leben, Liebe. – Was soll ich dazu noch sagen? Wenn man unsere Lage bedenkt – in der Dunkelheit, Tod und Hass umgehen – und unsere Sehnsucht nach Licht, Leben und Liebe, die so unendlich groß ist, in jedem von uns.“  Quelle siehe unten ²

Gefangenen-Madonna (Dezember 1943)

Im Dezember 1943, nur wenige Wochen vor seinem Tod, zeichnete Kurt Reuber im Kriegsgefangenenlager Jelabuga für die Lagerzeitung eine zweite Madonna, die wieder die gleichen Worte verkündete: „Licht, Leben, Liebe“. Sein letztes Werk erhielt später den Namen „Gefangenen-Madonna“. Auch dieses Werk gelangte nach Deutschland und wurde an Kurt Reubers Ehefrau übergeben. Eine Kopie der Kohlezeichnung „Gefangenen-Madonna“ befindet sich seit 2004 in der Auferstehungskirche Kassel (Stadtteil Nord-Holland).
 
Weitere Werke
 
Neben den zwei bekannten Kohlezeichnungen „Madonna von Stalingrad“ und „Gefangenen-Madonna“ gibt es schätzungsweise weitere 200 Zeichnungen, Aquarelle und auch einige Ölgemälde von Dr. Reuber, u.a. auch ein Selbstbildnis. Das Original befindet sich im Kloster Kirchberg (72172 Sulz / Neckar, Evangelische Michaelsbruderschaft).

Quellen / Literatur (u.a.)

² Antlitz und Gestalt, Handzeichnungen und Aquarelle von Kurt Reuber. Herausgegeben von Martha Reuber-Iske, Verfasser: Kurt Reuber und Martha Reuber-Iske, Verleger: Bärenreiter-Verlag, Kassel; Basel; Erscheinungsjahr: 1951

Die Stalingrad-Madonna, das Werk Kurt Reubers als Dokument der Versöhnung, ISBN: 3785906439 Verfasser und Herausgeber: Martin Kruse, Verleger: Lutherisches Verlagshaus Hannover, Erscheinungsjahr: 1996

Stalingrad, mit zahlreichen Abbildungen, Verfasser: Antony Beevor (Engländer). Aus dem Englischen übersetzt von Klaus Kochmann,  Verleger: Bertelsmann Verlag, 2. Auflage, München 1999, 544 Seiten.

Am 4.12.12 hat das Lutherische Verlagshaus Hannover ein 160seitiges Buch über die Kohlezeichnungen von Dr. Kurt Reuber herausgegeben. ISBN 978-3-7859-1076-4

Anmerkung / Copyright

Der o.a. Artikel wurde von mir im Jahr 2007 erstellt und am 22. Januar 2008 im regionalen Wiki der Hessisch / Niedersächsisch Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Da der Betrieb des HNA-Wiki Anfang 2022 eingestellt wurde, entstand im April 2022 diese neue Seite. 
Für die Kohlezeichnungen von Dr. Kurt Reuber, 1. Selbstbildnis, 2. Madonna von Stalingrad und 3. Gefangenen-Madonna, liegt vom Lutherischen Verlagshaus Hannover (Insolvenz 2017), eine Genehmig zur Veröffentlichung im o.a. Artikel vor. Papenburg, 3.4.2022, Herbert Rohrbach

Weblinks / Downloads

 

Selbstbildnis, 6. Januar 1943
© Lutherisches Verlagshaus, Hannover

Madonna von Stalingrad, Dez. 1942
© Lutherisches Verlagshaus, Hannover

Original der Stalingrad Madonna in der Berliner Gedächtniskirche

Rückseite vom Original der Stalingrad Madonna. >>> Vergrößern

Gefangenen-Madonna, Dez. 1943
© Lutherisches Verlagshaus, Hannover